Büro-Booster.

Die Automatisierung der Arbeitsabläufe in Service und Verwaltung erfährt einen kräftigen Schub. Technologien gibt es zuhauf. Wie aber strukturiertes Vorgehen maximalen Nutzen bringt, erklären Experten von HENDRICKS, ROST & CIE.

Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Lachgas hören? An einen Scherzartikel, eine Form der Anästhesie oder an eine Leistungssteigerung für Motoren?

Nun, Distickstoffmonoxid mit der Formel N2O, wie die chemische Bezeichnung lautet, hat von allem etwas. Wurde es noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts wegen seiner euphorisierenden Wirkung auf Jahrmärkten eingesetzt, erkannten Mediziner schnell seine narkotisierenden Eigenschaften – zunächst bei Zahnbehandlungen, später auch bei Operationen.

Wir möchten aber auf die Wirkung des Lachgases in der Antriebstechnik hinaus. Aufgrund der höheren Sauerstoffkonzentration im Vergleich zur Luft, führt sein Einspritzen in den Verbrennungsraum eines Ottomotors zu einer Leistungssteigerung von 20 bis 50 Prozent. Aus diesem Grund werden solche technischen Additive im angloamerikanischen Raum auch als «Booster» bezeichnet.

Einen ähnlichen Effekt haben Booster in einem ganz anderen Bereich: bei der Produktivitätssteigerung von Unternehmensabläufen – speziell als Software für die Prozessautomatisierung. Die Technologien thematisierten wir einführend in der vergangenen Ausgabe des BUSINESS INTELLIGENCE MAGAZINE Nr. 2/2020. In dieser Edition wollen wir die Kategorisierung und das Vorgehen bei der Auswahl der nötigen Werkzeuge vorstellen.

Die Automatisierung der Geschäftsabläufe drängt vor allem in den Büros. Denn hier ist sie – anders als in den Fabriken – noch längst nicht flächendeckend umgesetzt: Bei Service- und Verwaltungsprozessen gibt es noch viel Potential zur Produktivitätssteigerung.

Damit werden viele Tätigkeiten, die heute Sachbearbeiter erledigen, automatisier- und somit rationalisierbar. Dies führt zu geringeren Durchlauf- und Bearbeitungszeiten, niedrigeren Kosten sowie einer konstanten, hohen Qualität.

Kurzum:

schneller, billiger, besser. Das Spektrum reicht von der Robotic Process Automation (RPA) über digitalisierte Prozesse bis hin zu automatisierten, mit Künstlicher Intelligenz unterstützten Entscheidungssystemen. Für die Auswahl und Bewertung verfügbarer Systeme empfiehlt es sich, eine Gliederung der Funktionalitäten vorzunehmen.

KATEGORIEN DER ABLAUFGESTALTUNG.

Der Umbau von Geschäftsprozessen beginnt stets mit deren Modellierung. Die darauffolgende Simulation ermöglicht das Erkennen von Schwachpunkten oder Flaschenhälsen. Erst dann kann mit der eigentlichen Automatisierung begonnen werden, auf die später die Integration in die Systeme folgt.

Klare Prozessmodellierung.

Wesentlich für eine wirkungsvolle Automatisierung ist eine optimale Modellierung der Prozesse. Die dafür geeigneten Werkzeuge werden in Marktübersichten, wie zum Beispiel im BPM-Toolmarktmonitor von BPM&O, ausführlich beschrieben. Glücklicherweise gibt es heute einen Standard für die Modellierung: BPMN 2.0 (Business Process Model and Notation).

Nach dem Prinzip der Logik eines Petrinetzes verfügen die Modelle in der BPMN-Beschreibung über zwei Knotentypen: Vorgänge (Activities) und Ereignisse (Events). Beim geschickten Einsatz einer Modellierung können Events auch als Output eines Vorgangs und Input eines Folgevorgangs designt werden. Damit erhält man abzählbare Events, die später für eine Simulation wichtig werden.

Genaue Prozesssimulation.

Darüber hinaus werden die klassischen Optimierungsansätze (Eliminieren, Parallelisieren, Bündeln, Integrieren) idealerweise um eine Simulationskomponente ergänzt. BPMN 2.0 verfügt dafür über zusätzliche Objekte: sogenannte Gateways. Mit deren Hilfe lassen sich die genannten Optimierungsansätze beliebig kombinieren und der Prozessfluss steuern.

Eine Simulation von Prozessen setzt allerdings voraus, dass die Bearbeitungsfälle mit einer ausreichenden Häufigkeit je Zeiteinheit in die Prozessketten eingespielt werden. In den jeweiligen Vorgangsknoten werden dann die einzelnen Schritte mit ihren Rüst-, Bearbeitungs- und Liegezeiten simuliert und mit Kostensätzen je Zeiteinheit bewertet. Die Simulation ermöglicht, dass an diesen Knoten mögliche Flaschenhälse aufgrund von Kapazitätsengpässen erkannt werden können.

Die darauffolgende Auswertung ermöglicht eine schrittweise Verbesserung der Prozesse im Hinblick auf Kosten und Durchlaufzeit. Werden Qualitätssicherungsschritte im Ablauf berücksichtigt, kann auch die Steigerung der Qualität mit den entsprechend ausgewiesenen Kosten ermittelt werden.

Insgesamt setzt diese Simulation eine grundlegende Kenntnis der Prozesskosten und Arbeitspläne voraus, die leider nur in wenigen Unternehmen vorhanden sind. Angesichts dieses Mankos helfen pragmatische Ansätze der klassischen Prozessanalyse. Ergänzend können Bearbeitungszeiten nach altbekanntem REFA-Schema erhoben und als Parameter in die Simulation eingebracht werden.

Stringente Prozessautomatisierung.

Die zentrale Frage jeder Simulation ist die Übertragung auf die realen Prozessabläufe. Klassisch würde man die Erkenntnisse in der Form einer Veränderung des Ressourceneinsatzes für neue Arbeits- und Stellenbeschreibungen und Dokumenten- oder Materialflüsse übertragen.

Die Digitalisierung vieler Vorgänge erlaubt aber heute eine direkte Steuerung von Prozessen über Schnittstellen sowie «getriggerte» Anwendungssoftware. Für Letzteres, das Anstoßen eines Ablaufs, hat sich der Ausdruck «Trigger», zu Deutsch «Abzug» eingebürgert: Eine automatisierte Verarbeitung benötigt Softwareagenten, die im Hintergrund auf eine Aktion (Event) warten und nach dem Auslösen eines Ereignisses die Arbeit der Prozesse in Gang setzen.

Der andere Punkt, die Notwendigkeit von Schnittstellen, leuchtet schnell ein, denn normalerweise wird heute kein Material von einem Bearbeitungsort zum nächsten transportiert, sondern lediglich Daten und Informationen, oft in Form von Dokumenten. Entweder erfolgen die Prozessschritte in einer Anwendung oder applikationsübergreifend. In den großen ERP-Systemen trifft das auch oft modulübergreifend zu (in SAP zum Beispiel zwischen SD und FI).

Und in den modernen Cloudsystemen entwickelt sich die sogenannte REST API (Representational State Transfer Application Programming Interface) zu einem Schnittstellenstandard, der die Bedingungen verteilter Systeme ideal unterstützt. Mithilfe vielfältiger Standardformate, wie etwa HTML oder JSON und eines begrenzten Satzes an Befehlen (Get, Put, Post, Up- date) werden ausgewählte Inhalte zwischen den Systemen transferiert.

Saubere Schnittstellen.

Voraussetzungen für eine Lösung, die neben der Modellierung und Simulation auch eine Prozessautomatisierung in realen Systemumgebungen ermöglicht, sind:

  • die Beschreibung notwendiger Informationen (semantische Inhalte),
  • die Nutzung geeigneter Kommunikationsstandards (Schnittstellen wie etwa REST APIs)
  • sowie die Auslösung von Events, entweder explizit (gesteuert durch das Prozesstool) oder implizit (Auslösung durch die REST API).

Da es sich bei der Automatisierung um die jüngste Komponente auf dem Gebiet der Prozesswerkzeuge handelt, gibt es bislang nur wenig Standards. Und bei den Tools handelt sich vielfach um Individuallösungen – sowohl kleiner als auch großer Anbieter wie etwa IBM oder ServiceNow.

Die neuen Technologien sind eine Fortsetzung der IT-Trends der vergangenen 20 Jahre, die von innovativen Konzepten wie unter anderem EDI (Electronic Data Interchange), EAI (Enterprise Application Integration) oder SaaS (Software-as-a-Service) geprägt waren.

In all diesen Konzepten, Projekten und Umsetzungen war bereits die Komplexität des Zusammenspiels von Prozessen zum Austausch von Informationen und der Ausführung von Abläufen, die über alle System- und Organisationsgrenzen hinausgehen, grundsätzlich angelegt. Aufgrund der daraus gewonnenen Erfahrungen und der neuen Standards ist es heute möglich, die Geschäftsprozesse in den Büros nicht nur zu modellieren und zu simulieren, sondern auch zu automatisieren.

Integrierte «Humanprozessoren».

Besondere Bedeutung kommt dabei der Integration des Menschen in die automatisierten (dann nur noch teilautomatisierten) Abläufe zu. Denn auch dieser «humane Prozessor» verarbeitet Informationen und reagiert ereignisgesteuert. Eine fortgeschrittene Automatisierungslösung ermöglicht die Kommunikation über Mail, Messenger, Sprache und in der Gestalt von Postkörben. Der Eingang dieser Nachrichten wirkt als Trigger und löst eine Bearbeitung der Fälle aus – entweder einzeln oder als Stapel.

Da viele von Menschen bearbeiteten Vorgänge auf der Basis von Dokumenten erfolgen, ist eine Anbindung an ein «Dokumenten Management System» (DMS) sinnvoll. Viele Anbieter dieser Technologie haben Workflow-Funktionen in ihre Lösungen integriert, die sich idealerweise in Form von Subprozessen in eine übergeordnete Automatisierung der Abläufe integrieren lassen.

Eine wesentliche Aufgabe eines Mitarbeiters in einer Organisation ist die Auswertung und Interpretation von Informationen sowie eine anschließende Entscheidung. Letztere kann zum Beispiel eine Klassifikation, Bewilligung oder Ablehnung sein, manchmal auch nur eine Anreicherung der Information oder auch die einfache Überführung unstrukturierter in strukturierte Daten.

Bei all diesen Vorgängen ist eine Benutzerführung wichtig und deshalb eine grafische Benutzeroberfläche (GUI – «Graphical User Interface») erforderlich. Viele Workflow-Tools bieten daher die Möglichkeit, dialogorientierte Oberflächen, Formate sowie Eingabefenster zu erstellen und browserbasiert zur Verfügung zu stellen.

Eine wichtige Eigenschaft dabei ist die Anbindung an eine Datenbank, damit eine größtmögliche Flexibilität bei der Unterstützung des Anwenders durch Auswahllisten, kontextsensitive Felder und Inhalte sowie der Auswertung und Eingabe von Informationen sichergestellt ist.

Entwicklung in Teilprozessen.

Die Lösungsmöglichkeiten zur Prozessautomatisierung in den Büros sind vielfältig. Zahlreiche Softwarewerkzeuge bieten unendliche Möglichkeiten zur Optimierung und Hebung verborgener Potentiale in je- der einzelnen Organisation, genauso wie in der Zusammenarbeit mit beliebigen externen Unternehmen.

Wie in allen Projekten sollte auch bei der Prozessautomatisierung zunächst mit wenigen ausgewählten Prozessen oder – noch besser – zunächst mit Teilprozessen begonnen werden. Deren Abgrenzung zu anderen Abläufen ist wichtig – hinsichtlich der Länge und der Tiefe.

Quelle: BUSINESS INTELLIGENCE MAGAZINE, www.bi-magazine.net
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