Bevor ich mich gleich entschuldigen muss, da ich doch die maskuline Form im Titel verwende, möchte ich betonen, dass ich das Genus bewusst gewählt habe, in Anlehnung an den „kleinen Mann“. Ich war neulich in einer großartigen Theateraufführung von Hans Falladas Roman „Kleiner Mann – was nun?“ im Schauspielhaus Düsseldorf.
Wer es nicht mehr weiß, in dem Roman geht es um das Schicksal von Johannes Pinneberg und seiner Freundin Emma, genannt Lämmchen. Sie Verkäuferin, er zunächst Buchhalter und später ebenfalls Verkäufer in einem Kaufhaus.
Der Roman handelt vom Abrutschen junger, leistungswilliger Menschen in die Arbeitslosigkeit und Armut. Doch darum soll es hier, in meiner Kolumne, nicht gehen.
Mir geht es um die Arbeit als Verkäufer, das Kaufverhalten und das Aussterben des Einzelhandels.
Just melden die Gazetten, oder deren Onlinederivate, dass es mit Reno die dritte Schuhhandelskette in die Insolvenz getrieben hat. Nach Görtz und dem Schuhhaus Klauser/Salamander also eine weitere Filialkette, die die Segel streichen muss. Dazu kommen mit Peek & Cloppenburg und Galeria Kaufhof zwei weitere Kaufhausgruppen, die früher Einkaufsmagneten für die Innenstädte waren.
Jetzt können wir natürlich lesen von der Unfähigkeit der Manager, die Gier der Investoren, die die Filetstücke in Form von Immobilien aus der Vermögensmasse ziehen etc. Das mag in dem ein oder anderen Fall stimmen. Für Peek & Cloppenburg als Familienunternehmen sicher nicht. Auch nicht für die genannten Schuhhäuser. Als Berater kenne ich die Zahlen hinter den Insolvenzen teilweise sehr genau. Dahinter stehen zwei maßgebliche Ursachen:
Die Immobilienpreisentwicklung und in der Folge die exorbitanten Mieten sowie das Einbrechen der Frequenzen, sprich Besucherzahlen in den Filialen, vor allem in der Coronazeit. Interessanterweise wurden die Corona-Ausfälle durch allerlei Maßnahmen noch gut verkraftet. Den Todesstoß versetzen jetzt diejenigen, die den Verlust der Geschäfte am meisten beklagen – die Kunden!
Wenngleich nicht vorsätzlich, so doch bedingt durch das Kaufverhalten werden eben zunehmend auch Schuhe ohne Fachberatung und psychisch/moralischen Kaufdruck („Dieser Schuh ist wie für Sie gemacht!“) bequem online geordert. Und zwar in rauen Mengen. Wir haben es hier mit stationären, dezentralen Umkleidekabinen inkl. Hol- und Bring-Service zu tun. Übrigens in einer Größenordnung, die jede Kabine sprengen würde. Wissen Sie noch? Nur drei Teile! Darüber lacht der Onlinekäufer.
Beim aktuellen Forecast eines unserer Kunden wurde auch die Retourenquote für das Online-Geschäft abgeschätzt. Kurzzeitig hat diese sogar unser Berechnungsmodell auf die Probe gestellt: über 100 %! Auf meine ungläubige Frage, wie man mehr zurückschicken kann als gekauft zu haben, war die Antwort, dass das aus einem monatlichen Abgrenzen resultiert. Aber trotzdem, selbst die normalen Quoten liegen zwischen 40 und 70 % je nach Monat.
Jetzt stellen Sie sich einfach vor, wie Sie wirtschaften wollen, wenn mehr als die Hälfte Ihrer Ware unterwegs ist, durch den Transport nicht schöner wird und am Ende wieder eingelagert oder vernichtet werden muss.
Ja, ich kaufe gerne online, auch beim großen „A“. Vor allem, da die Todesspirale längst in Gang gesetzt ist. Die meisten Artikel gibt es im stationären Handel nicht mehr vorrätig. Dann heißt es: „Das können wir Ihnen gerne bestellen.“ – Aha! Dann bestelle ich es doch gleich selbst.
Nostalgisch denke ich zurück an die Bilder von den Schlussverkäufen SSV und WSV, wo die Menschenmassen durch sich gerade öffnende Türen drängten, um an den Wühltischen um die begehrtesten Stücke zu streiten. Heute erlebe ich weitgehend gähnende Leere.
Also, Kleiner Käufer – was nun?
Tonnenweise Verpackungsmüll verursachen? Über Zustelldienste meckern, die mit dem Aufkommen kaum nachkommen und mit kleinsten Preisen unterdurchschnittliche Löhne zahlen müssen? Ab 2024 sind alle Unternehmen mit mehr als 200 Mitarbeitern verpflichtet, einen Nachhaltigkeitsreport erstellen. Darin wird Rechenschaft abgelegt über Energieeffizienz, Social Responsibility und viele weitere ethische Aspekte.
Wo bleibt eigentlich die Verantwortung für uns als „Kleine Käufer“.
Wollen wir uns wieder aufmachen zum Familieneinkauf, dem geschlechterspezifischen Such- und Anprobierverhalten frönen (sie sucht aus – er sucht eine Sitzgelegenheit), Kinder quengeln, am Ende gibt es ein Eis, die Tüten sind voll und zeugen von Entscheidungsstärke und Wohlstand. Dann ist Samstagabend. Alle sind froh es überstanden zu haben.
Wohl dem, der das Glück hat, Geld ausgeben zu können. Johannes Pinneberg hatte es nicht. Er verfiel in Depressionen, zerbrach unter dem Druck, mindestens 500 Mark Umsatz im Kaufhaus machen zu müssen. Dahinter steckte Kapitalismus-Kritik, aber hinter jedem Unternehmen stecken zig Arbeitsplätze und hinter jeder Insolvenz zig Arbeitssuchende.
Unser aller Wohlstand hängt ab von einer florierenden Wirtschaft. Der Einzelhandel muss sich neu erfinden, keine Frage. Ich zumindest brauche einen neuen Anzug und ein Paar neue Schuhe. Und die kaufe ich garantiert nicht online.
Autor: Frank Hendricks, geschäftsführender Gesellschafter von HENDRICKS, ROST & CIE.